Ein Bus voller Albaner
„Nimm doch bitte das Flugzeug, ich bezahl dir auch den Flug.“, sagte meine Vater als ich ihm von meinem Vorhaben, mit dem Bus die Familie im Kosovo besuchen zu gehen, erzählte. Die Nachricht des zwei Wochen vor meiner Abreise verunglückten Bus in Kroatien Richtung Pristina hatte schließlich auch mich verunsichert, doch ich hatte noch knapp zwei Monate Semesterferien, eine Menge Freizeit und außerdem fiel mir nach einem Jahr Uni unter Coronabedingungen die Decke auf den Kopf. „Komme was wolle, ich muss weg“, dachte ich mir. So stieg ich einige Tage später in einen augenscheinlich aus den 90ern stammenden Bus mit Warnhinweisen in italienischer Sprache, und meine 28-stündige Reise durch halb Europa würde beginnen.
Mein Vater brachte mich wider Willen zur Haltestelle und bat die anderen Passagiere auf mich Acht zu geben, da er besorgt war und ich zudem die Sprache bis heute nicht spreche, geschweige denn verstehe. Zugegebenermaßen war auch ich aufgeregt. Es sollte die erste Reise sein, die ich allein bestritt und außerdem auch das erste Mal, dass ich ohne „Dolmetscher“ bei meinen Großeltern sein würde. Und bevor ich es mir nochmal anders überlegen konnte, fuhr der Bus auch schon los. In Deutschland hielten wir in Karlsruhe, Stuttgart, Ulm und München und sammelten noch einige Leute ein, wobei jeder dasselbe Ziel haben sollte, denn nach München kamen nur noch kleine Zwischenstopps zum Beine vertreten und Geschäft verrichten. Die Bustoilette war defekt. Im Bus wurde von jedem erwartet albanisch zu sprechen, wobei ich immer der eine Junge war, der das eben nicht konnte, woraufhin ich oft gefragt wurde warum das so sei und ich nach einigen Malen resigniert aufhörte es erklären zu wollen.
Nach knapp zehn Stunden überquerten wir dann die österreichische Grenze und hatten ein Drittel der Fahrt hinter uns. Der Bus wurde auch an jeder folgenden Grenze kontrolliert, wobei ich einer der wenigen war, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß und darüber auch sehr glücklich sein sollte, denn alle anderen hatten ihren kosovarischen Reisepass dabei und dazu noch ein auf Papier gedrucktes Dokument, was sich an der Grenze zu Serbien als serbischer „Pass“ herausstellen sollte, aber Politik soll heute nicht das Thema sein. Selbst ich, der die Sprache nicht verstand merkte, dass die ausgelassene Stimmung kippte und vor allem die Alten angespannt wirkten. Die Leute fingen immer wieder an zu tuscheln und zu flüstern, vor allem als serbische Beamte den Bus betraten. Wir sollten mehr als zehn Stunden auf den Landstraßen Serbiens verbringen und außerdem konnte ich einen kurzen Blick auf die Partyhochburg Belgrad werfen.
Als wir dann nach geschlagenen 23 Stunden im Kosovo ankamen, erwarteten uns noch einige Halte an Dorfgrenzen und stockender Verkehr in der Hauptstadt und nach fünf weiteren Stunden saß ich endlich im, auf jeden Fall nicht TÜV-geprüften, Polo meines Onkels, aber nach fehlenden Gurten und auseinanderfallenden Sitzen im Bus war die Beinfreiheit auf dem Beifahrersitz purer Luxus. In den kommenden vier Wochen sollte ich mich übergeben, in der Adria schwimmen, Berge erklimmen, vor Schlangen flüchten und mit einem lachenden sowie weinenden Auge erneut in einen, diesmal auf Niederländisch beschrifteten, Bus steigen und zurück in die Heimat fahren.
Was das alles mit Nachhaltigkeit zu tun hat? Ich bin mir nicht sicher, aber manchmal ist der Weg das Ziel.